Edouard Cointreau prämiert Jahr für Jahr die besten Kochbücher der Welt. Im Interview spricht der Franzose über die Seele der Sammlungen, seine persönlichen Favoriten und das private Glück, das er auf seiner Suche gefunden hat.
Herr Cointreau, Sie verleihen alljährlich mit Ihren Mitarbeitern den Gourmand „World Cookbook Award“, den Preis für die besten Koch- und Getränkebücher der Welt. Was macht ein gutes Kochbuch aus?
Cointreau: Die Kriterien variieren in den verschiedenen Kategorien. Aber alle sehr guten Kochbücher haben eines gemeinsam, das ist wie in der Literatur: Die Persönlichkeit des Autors leuchtet durch sie hindurch. Die besten Bücher besitzen einen Geist, ein Eigenleben. Die Topautoren investieren häufig nicht nur Jahre, sondern auch ihre Seele in die Arbeit. Für sie sind die Bücher beinahe wie eigene Kinder. Unsere Auswahl ist dann ein Ausschlussprozess, wie man es von anderen Wettbewerben kennt. Bücher werden verglichen.
Wie viele Bücher werden denn im Jahr bei Ihnen eingereicht?
Cointreau: Wir machen das jetzt seit 20 Jahren. Vor acht waren es circa 10.000 Bücher aus 100 Ländern. Wir haben inzwischen aufgehört zu zählen. Mittlerweile haben wir Teilnehmer aus 203 Ländern, nach 187 im vergangenen Jahr und 172 in 2012.
Haben Sie ein Lieblingsbuch?
Cointreau: Meine liebsten Kochbücher sind wie Kinder für mich. Sie sind sehr verschieden, und es ist eigentlich unmöglich, eines hervorzuheben. Wenn ich aber eines auswählen müsste, wäre es „Me’a Kai“ von dem Neusseeländer Robert Oliver, das beste Buch aus dem Jahr 2010. Es ist eine wunderschöne Sammlung über die kulinarischen Schätze des Südpazifiks und es verschaffte den lokalen Inselbauern und ihren Produkten große Beachtung. Nach der Auszeichnung bekam der Autor eine Fernsehserie. Außerdem bewegte das Buch den Inselstaat Samoa dazu, innerhalb von zehn Jahren das erste komplett biologische Land zu werden.
Viele Verlage mochten die Idee und die Party
Fallen Ihnen spontan noch weitere ein?
Cointreau: Auch an ein australisches Kochbuch aus dem Jahr 1996 kann ich mich gut erinnern. Es heißt „Tukka“, der Autor ist Jean Paul Brunetau. Ich fand es in einem Regal auf der Frankfurter Buchmesse. Es ist das erste Buch über die Küche der australischen Ureinwohner, und es sorgte dafür, dass die Zutaten der Aboriginies ihren Weg in die Restaurants des Landes fanden. Nach unserer Auszeichnung wurde es ein Weltbestseller. Der Autor ist mit elf Jahren von Frankreich nach Australien ausgewandert. Ich traf ihn 1997 beim ersten „Tasting Australia“-Event. Wir begegneten uns wieder, als er im Jahr 2000 das einzige australische Restaurant in Paris eröffnete. Einige Jahre später lernte ich dort eine charmante chinesische Dame kennen und lud sie zu einem Getränk ein. Mittlerweile sind wir verheiratet und haben eine sechs Jahre alte Tochter. Daher werde ich dieses Kochbuch, das mir so viel Glück gebracht hat, natürlich nie vergessen.
Wann hatten Sie die Idee, die besten Kochbücher zu finden?
Cointreau: Als führender Verleger für Umweltbücher in Spanien besuchte ich seit 1989 Jahr für Jahr die Frankfurter Buchmesse. Ich besaß zu diesem Zeitpunkt bereits einige wenige Koch- und Weinbücher. Neue gute Titel waren schwer zu finden und ihnen wurde in dieser Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Um den Kochbüchern mehr Glanz zu verleihen, entschied ich mich, die schönsten Exemplare während der Messe ausfindig zu machen und am Ende eine kleine Preisverleihung mit Wein und Käse zu veranstalten. Viele Verlage mochten die Idee und die Party, sodass sich das Konzept schnell entwickelte.
In Deutschland kommen immer mehr Kochbücher auf den Markt. Wie sieht es in anderen Ländern aus? Und warum sind gedruckte Bücher immer noch erfolgreich, obwohl man unendlich viele Rezepte auch kostenlos im Internet findet?
Cointreau: Heutzutage gibt es überall Kochbücher und sie haben den Respekt der Verleger – weil sie profitabel sind. Ich schätze mal, dass sich die Anzahl in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht hat. Gleichzeitig hat sich auch die Qualität deutlich gesteigert. Ein gedrucktes Buch hat ein unabhängiges Eigenleben. Digitale Sammlungen haben das nicht, zumal sie immer nur in Zusammenhang mit einem technischen Gerät genutzt werden können. Kochbücher hinterlassen Spuren einer kulinarischen Kultur. Sie sind zwar schnell konsumiert, haben aber jahrelang Bestand. Vor 50 Jahren wollten die Menschen Autobiografien oder Romane aufs Papier bringen, um sich zu verwirklichen. Heute schreiben sie Kochbücher. Essen wurde zu einem Schlüssel der Identität und der Kultur von Individuen – und von ganzen Ländern. Internetblogs sind heute nur ein Schritt zur Veröffentlichung von Büchern. Zusammen mit dem Fernsehen und weiteren Angeboten im Netz bringen sie dem Buchmarkt viele neue Leser und Käufer.
Der Trend geht auch ins Lokale
Glauben Sie, dass die Zukunft des Kochbuchs dennoch digital sein wird?
Cointreau: Das Digitale ist ein Teil der Zukunft von Kochbüchern. Es ist aber immer noch ein kleiner Teil des Markts, der weltweit weniger als fünf Prozent ausmacht. Die Leser haben wohl in digitaler Form noch nicht das gefunden, was sie brauchen. Aber ich bin mir sicher, das wird kommen. Bei unserer Preisverleihung gibt es inzwischen auch digitale Kategorien und wir versuchen diejenigen aktiv zu unterstützen, die in die Zukunft investieren wollen.
Es gibt immer noch viele Länderküchen, die in Europa nahezu unbekannt sind. Sie haben den Überblick: Wo können wir Europäer noch etwas komplett Neues entdecken?
Cointreau:
Meiner Ansicht nach geht der generelle Trend nicht nur ins Internationale, sondern auch ins Lokale. In Paris und Wien gibt es wohl inzwischen mehr ausländische Küchen als einheimische. Gleichzeitig versuchen wir auch immer mehr vegetarische Kost zu uns zu nehmen. Deshalb gibt es quasi für alle Küchen dieser Welt die reelle Chance, entdeckt zu werden. Das ist dann auch eine Frage des individuellen Geschmacks. Ich denke, dass das auch viel vom Tourismus beeinflusst wird. Bei einer Untersuchung in Australien kam heraus, dass das Essen und der Wein der drittwichtigste Grund bei der Auswahl eines Reisziels sind – hinter der Sicherheit und dem Preis. Aus diesem Grund wirbt die australische Tourismusbehörde zum Beispiel auch mit dem Slogan „Restaurant Australia“. So werden wohl immer mehr lokale Küchen in Verbindung mit Reisezielen in Erscheinung treten – etwa Südaustralien, Westaustralien oder Tasmanien anstelle des gesamten Landes, eher Sichuan als China, eher Maya als Mexiko oder Sizilien anstelle von Italien. Wir werden zudem immer mehr Restaurants erleben können, die sich auf einzelne Produkte spezialisieren werden. Die Differenzierungen und Multiplikationen sind endlos. Das gleiche gilt auch für Kochbücher.
Stephan Fuhrer / Foto: © Max Jurisch