Die Spice Queen

Das britische Essen war Birgit Erath zu fad. Also begann sie zu experementieren – und wurde zur englischen Gewürzkönigin, die Queen Mum den Hustentee bereitete

Birgit Eraths Welt ist bunt. Das Gewürzgeschäft der Schwäbin im Londoner In-Viertel Notting Hill sowieso. Auf einer knallgelben Markise prangt das schrill-rote „Spice Shop“-Logo. Als eines Tages noch ein giftgrüner und ein senfgelber VW-Beetle hintereinander vor der Ladentür parken, drückt ein Fotograf auf den Auslöser. Der Schnappschuss wird zu einem beliebten Londoner Postkartenmotiv, das Eraths Laden auch über die Stadtgrenzen hinweg bekannt macht. In der Themsestadt selbst ist dies gar nicht mehr nötig. Hier ist die Deutsche, die die Engländer liebevoll als „Spice Queen“ – Gewürzkönigin – huldigen, schon längst bekannt wie ein bunter Hund.

Eine gewisse Dankbarkeit spielt da sicherlich eine Rolle. Denn Erath hat die Engländer auf den Geschmack der großen weiten Welt gebracht. „Die Briten kannten Anfang der Neunziger ja nur Salz und Pfeffer, Gewürzgeschäfte gab es nicht“, sagt die heute 54-Jährige. Als sie in den Achtzigern als Au-pair-Mädchen auf die Insel kam, sei das eine fade Angelegenheit gewesen. Statt würziger, schwäbischer Gaumenfreuden gab es nur diese ständige Kartoffelesserei: „Jeden Tag der gleiche Fraß, ich musste etwas tun“, erzählt die Gewürzhändlerin, die das gelegentlich so unflätige Schwäbisch mindestens genauso gut beherrscht wie das feine Oxford-Englisch.

Lieferung zum Buckingham Palace

Beim nächsten Heimatbesuch nahm sie Gewürze von zu Hause mit und mischte sie unter Bratkartoffeln. Ihre englischen Freunde waren begeistert. Das brachte die Schwarzwälderin auf die Idee, es mit dem Handel zu versuchen. Schließlich brauchte sie nach der Au-pair-Zeit dringend Geld, um ihr gerade begonnenes Wirtschaftsstudium zu finanzieren. Glücklicherweise waren die Gewürze schon im Land, sie musste sie nur in den Vierteln, in dem die Inder und Pakistani in London zu Hause waren, einkaufen. „In diese Läden hat sich damals ja sonst keine Sau reingetraut“, sagt Erath. Sie natürlich schon. In kleinen Tütchen verpackt bot sie die duftenden Dreingaben den Engländern auf Märkten zum Kauf an. Und siehe da: Die Londoner wurden neugierig. Erath experimentierte, mischte ihre Gewürze und kaufte die Ware bald schon in der ganzen Welt ein. 1995 eröffnete sie ihr Geschäft in Notting Hill.

Von ihren Erlebnissen aus dieser Zeit erzählt Erath viel und gerne. Durch ihr unbedarftes Wesen sind ihr auch manche Dinge einfach zugefallen. Weil ihre Geldscheine, die sie nach den Markttagen zur Bank brachte, nach Gewürzen rochen, kam sie eines Tages mit der Frau am Schalter ins Gespräch. Die Frau hustete. Beim nächsten Mal brachte Erath ihr einen selbstgemischten Tee zur Linderung mit. Davon hörte eine andere Kundin und erkundigte sich, ob sie ihr nicht auch ein bisschen davon vorbeibringen könne. „Na klar, an welche Adresse?“, fragte die Gewürzhändlerin. „Buckingham Palace“, antwortete die Hofdame.

Gewürze für Lady Di und Madonna

Nach einem anstrengenden Markttag machte sich Erath also auf den Weg zum englischen Königshaus. Ihre Hände und Wangen waren von Gewürzen verschmiert, das Haar vom Wetter zersaust. Schnell abgeben und weg, dachte sie sich. Aber zu ihrer eigenen Überraschung wurde sie hereingebeten. Der Hustentee sollte Queen Mum serviert werden. Die Königinnenmutter saß gerade mit ihren Freundinnen beim Bridge. Erath wurde auf einen Sherry dazu gebeten. Man unterhielt sich und lachte zusammen. Es war nicht die letzte Lieferung in den englischen Königspalast.

Na klar, das sei ein besonderes Erlebnis gewesen. Aber für die alles andere als auf den Mund gefallene Gewürzkönigin war der Palastbesuch noch lange kein Grund, vor Ehrfurcht im Erdboden zu versinken. „Promis sind auch nur Menschen“, sagt Erath. Lady Diana, Madonna, Robin Williams – sie alle seien schon in ihrem Londoner Geschäft gewesen. TV-Köche wie Jamie Oliver und wichtige Küchenchefs hätten sich bei ihr mit Gewürzen eingedeckt. „Mit diesen Leuten kann man sich genauso gut unterhalten, wie mit jedem anderen auch“, sagt Erath.

Von London nach Schwaben

Wenn sie heute über die Anfangsjahre und ihr London spricht, bleiben sentimentale Anflüge nicht aus. Die Spice Queen ist nicht mehr allzu oft in ihrem Laden an der Blenheim Cres, Ecke Portobello Road. Dort steht jetzt ihr ältester Sohn hinter dem Ladentresen. Die zweifache Mutter ist mit dem jüngeren der beiden Brüder 2011 zurück nach Deutschland gezogen. Von der Millionenmetropole hat es sie ins 2000-Seelendorf Waldmössingen verschlagen – ihren eigentlich so gar nicht bunten Schwarzwälder Heimatort.

Doch das änderte sich schnell: Die Gewürzhändlerin baute das Elternhaus zum Hauptsitz des kleinen Unternehmens aus. Seither glänzt die Fassade des alten Bauernhauses in Knallgelb, die Fensterläden sind schrill-rot gestrichen. Der Duft von rund 1500 Gewürzen und Gewürzmischungen aus Verkaufsladen und Lager zieht hinaus bis auf die Straße und vermischt sich mit der frischen Landluft. Beim Vorbeigehen scheint es ein bisschen so, als komme das Anwesen aus einer anderen Welt. Aber die Waldmössinger haben sich längst an den Anblick gewöhnt. Und viele Einwohner sind auch ein bisschen stolz, dass ihre Birgit aus der großen Weltstadt wieder zu ihnen zurückgekommen ist.

Gewürze im Betonmischer

Fernab des Großstadttrubels gibt Erath in der schwäbischen Provinz nun Kochkurse und verarbeitet ihre Gewürze. Nach dem Mahlen in einer einfachen Gewürzmühle aus Holz werden die Mischungen anschließend pragmatisch in einem Betonmischer vermengt, danach in Döschen verpackt und an ihre Läden und Online-Kunden verschickt. Neben dem Hauptgeschäft in Waldmössingen, ihrem „Spice Shop“ in London und einer vor Kurzem eröffneten Filiale nahe Stuttgart werden die Produkte der Spice Queen auch in diversen Feinkostläden, Supermärkten oder Apotheken verkauft. Qualität ist der Schwäbin wichtig. In ihren Gewürzen gebe es keine künstlichen Aromen, Farbstoffe oder Geschmacksverstärker. „Alles pur. In meinem Dosen ist nur der Duft der Welt“, versichert Erath.

Um sichergehen zu können, dass das auch so ist, ist die Händlerin im Laufe der Jahre um den halben Globus gereist –mit dem Rucksack. Die besten Produzenten zu finden, sei eigentlich gar nicht so schwer, meint Erath. „Ich gehe morgens auf den nächstbesten Markt und sitze dann abends meistens schon mit einer Familie in ihrem Haus inmitten von Gewürzfeldern.“ Schließlich will die Spice Queen auch vor Ort sehen, dass da wirklich keine Chemikalien eingesetzt werden, Kinder arbeiten müssen und die oftmals weiblichen Arbeitskräfte auch gut behandelt werden. All das gehört für Erath zu einem guten Gewürz dazu.

Durch den Umzug sei sie zuletzt allerdings nicht mehr zum Reisen gekommen. Doch langsam kommt der Reiz zurück. „Ich werde bald wieder losziehen“, sagt die Händlerin. Die Welt ist schließlich bunt – und verbirgt noch viele duftende Schätze. Die Gewürzkönigin wird sie finden.